22.04.2005
Arbeitersiedlung für Besserverdienende
SPD feiert 75-jähriges Bestehen der Ernst-May-Siedlung in Westhausen / Funktionaler Wohnbau bricht mit Kaiserzeit Von Rudi Wagner
Die kleinen Wohnungen in den Zweifamilienhäusern in "Pappdeckelhausen" wurden
in den vergangen Jahrzehnten zu Einfamilienhäusern umgewandelt. Das Bild des alten Siedlungskerns hat sich dadurch kaum verändert, wesentlich dagegen die Bevölkerungsstruktur.
Unter dem Motto "Erinnern und in die Zukunft blicken" hatte der SPD-Ortsverein Westhausen/Praunheim anlässlich des 75-jährigen Bestehens der May-Siedlung an der Ludwig-Landmann-Straße zu einer lockeren Runde bei Ebbelwei und Brezeln in die heute noch in Betrieb befindliche Zentralwäscherei eingeladen. Einer wahrhaft historischen Stätte, denn in den ersten Jahren nach dem Krieg diente sie als Versammlungsort.
"Warum jetzt Straßenumbenennungen", war das Thema einer Versammlung am Freitag, 10. Oktober 1947, mit dem damaligen Oberbürgermeister Walter Kolb. Für die roten Siedlungsbewohner keine Frage, denn in Straßen, die an die Kolonialzeit des Kaiserreiches erinnerten, wollten sie nicht wohnen. Sie erinnern heute an die Widerstandskämpfer Johanna Kirchner, die Geschwister Scholl, an Stephan Heise und Albrecht Ege.
In seinem Grußwort erinnerte Bürgermeister Achim Vandreike an das "gewaltige Wohnungsbauprogramm" unter dem früheren Oberbürgermeister Ludwig Landmann und Stadtbaurat Ernst May. Wegen der großen Wohnungsnot sollten jährlich 4000 neue Wohnungen gebaut werden. Eine städtebauliche Revolution, zumal mit der neuen Plattenbauweise neue Wege eingeschlagen wurden. Für die Industriearbeiter, damals 85 Prozent der Frankfurter Bevölkerung, sollten halbwegs komfortable Wohnungen mit fließendem Wasser und Bad errichtet werden.
Dieses "andere Bauen", weg von überladenen Prunkbauten, hin zu funktionsgerechten und preiswerten Wohnungen für Arbeiterfamilien, bezeichnete Architekt DiWi Dreysse, Vorsitzender des Städtebaurats der Stadt und Schüler von Ernst May, als "bedeutenden Bruch mit der Ideologie des alten Kaiserreichs". Das städtebauliche Konzept war, die Stadt von außen nach innen zu entwickeln und dabei die Landschaft mit dem Land fressenden Städtebau zu versöhnen. Die Erinnerungen an die ersten Stunden unterstützte eine Bilderschau. Dem Charakter der Waschküche entsprechend, waren die Bildtafeln an langen Wäscheleinen angeklammert.
Heute kaum vorstellbar, dass die Arbeiterwohlfahrt in einer 40 Quadratmeter kleinen Wohnung einen Kindergarten mit mehr als 30 Kindern unterhalten hat. Während sich der alte Siedlungskern mit den kleinen Häuserzeilen baulich kaum verändert hat, hat sich die Bevölkerungsstruktur entscheidend gewandelt. Nach den Arbeitern, die sich mit bis zu acht Personen in den 40 Quadratmeter kleinen Wohnungen heimisch fühlen mussten, sind Besserverdienende eingezogen. In den zu Einfamilienhäusern umgewidmeten Häuschen mit 80 Quadratmetern Wohnfläche, mit Nebenräumen und Gärtchen fühlen sich kinderlose Ehepaare oder Familien mit ein bis zwei Kindern recht wohl.
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