03.08.2004
Wo sich Gemeinschaftssinn und Individualismus treffen
Mit der Errichtung der Ernst-May-Siedlung in der 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts steigt die Bevölkerungszahl Praunheims sprunghaft an.
Heute wohnen rund 700 Menschen in den Häusern. Das Sprachrohr ist nach wie vor der Siedlerverein, der sich ebenfalls mit großem Engagement an den 1200-Jahr-Feierlichkeiten des Stadtteils beteiligt. Im vierten Teil der FNP-Serie über die Mitglieder im Vereinsring Praunheim wird heute die Geschichte des Siedlervereins beleuchtet, der im Jahr 2002 sein 75-jähriges Jubiläum feierte.
Auf den ersten Blick scheint alles ein bisschen altmodisch. Der Name Siedlerverein, dessen Beziehung zum «Reichsheimstättengesetz» aus dem Jahre 1920, auch die Idee, dass sich ein Verein um ein intaktes Verhältnis unter Nachbarn bemüht. Wirft man einen Blick auf die Geschichte des Vereins, wird schnell klar, die Praunheimer Siedler sind traditionell überhaupt nicht altmodisch, sondern Gründer und Reformer. 1927 zogen die ersten Neu-Praunheimer in die gerade erbaute Siedlung am Rande der Stadt, zwischen Sandplackenstraße und Fritz-Schumacher-Weg. Die Häuser, gebaut von der Stadt Frankfurt, hatte der Architekt Ernst May entworfen, sie entsprachen den neuesten Standards modernen Wohnens. Die zweckmäßigen Häuschen, deren Wohnfläche zwischen 55 m und 108 m groß war, waren mit Bädern, Öfen und den weltweit ersten Einbauküchen – Frankfurter Küchen genannt – ausgestattet, zu jedem gehörte ein Garten. Errichtet wurden die Reihenhäuser im Zuge des Wohnungsbauprogramms der Stadt, das 1925 zur Lösung der akuten Wohnungsknappheit beschlossen worden war. Preiswerter, gesunder Wohnraum sollte geschaffen werden.
Die neuen Siedler – Handwerker, Beamte, Arbeiter – mussten zwischen 14 110 und 22 300 Reichsmark aufbringen, um sich ein Häuschen zu kaufen. Obwohl die monatlichen Raten unter 100 Reichsmark lagen, war dies für viele eine starke Belastung, zumal während der Wirtschaftskrise in den 30er Jahren. Während die Häuser von innen modern ausgestattet waren, war die Infrastruktur rundherum noch mangelhaft. Die Siedlung stand mitten auf leerem Feld, war verkehrstechnisch nur schlecht erschlossen.
Verhandlungen mit der Stadt über den Ausbau von Straßen, die Ansiedlung von Geschäften, Schulen und Kindergärten gehörte zu den ersten Aufgaben des Vereins. Schon seit der Gründerversammlung im Juli 1927 sah sich der Zusammenschluss als Interessenvertretung der Siedler gegenüber der Stadt, als Sprachrohr und Verhandlungspartner. Die Vereinsgründung hingegen war laut Reichsheimstättengesetz sogar gesetzlich vorgeschrieben.
Darin waren unter anderem das Vorkaufsrecht für die Häuser durch die Bauherrin, der Stadt, festgeschrieben. Paragraf 19 besagte, dass alle Hauseigentümer zur Mitgliedschaft im Siedlerverein verpflichtet sind – Gemeinschaftsgeist wurde den Hauskäufern von Anfang an abverlangt. Vielfältige Aufgaben übernahm der Verein deshalb nicht nur nach außen hin. Er war häufig Schlichter bei Nachbarschaftsstreitigkeiten, bemühte sich um den Aufbau einer kooperativen, funktionierenden Nachbarschaft und förderte den Zusammenhalt der neuen Hausbewohner. Auch über Umbauten und Renovierungsarbeiten wachte der Verein, eine Gartenordnung musste erlassen, Baumängel beseitigt werden.
War es beim Wiederaufbau nach dem Krieg noch halbwegs gelungen, den baulich einheitlichen Charakter der Siedlung zu erhalten, war das in den vergangenen Jahren nur noch schwer durchzusetzen. Die Häuser wurden renovierungsbedürftig und die Siedlung Stück für Stück etwas bunter, als es Ernst May wohl begrüßen würde. Der gemeinschaftliche Geist jedoch, der die Siedlung bis heute prägt, wird Besucher überraschen. Manche Familien wohnen schon in der dritten Generation in der Siedlung, sie sind stolz auf die herausragende Architektur- und Sozialgeschichte, die mit ihren Wohnhäusern verbunden ist. Die Nachbarn kennen sich untereinander. Leben in der Großstadt mit den Vorzügen des Dorfes.
Dieser Zusammenhalt brach auch nicht zu zusammen, als 1993 das Reichsheimstättengesetz außer Kraft gesetzt wurde. Von den 996 Hausbesitzern sind heute noch 700 Mitglieder im Siedlerverein, der auch die zur Siedlung gehörenden Kleingärten verwaltet.
Dem Verein gelingt es noch immer, dafür zu sorgen, dass in der Siedlung die gemeinschaftlich genutzten Flächen und Wege gepflegt werden. Unzählige Sommerfeste hat der Verein mit den Jahren organisiert. Auf die Senioren in der Siedlung haben die aktiven Siedler ein besonderes Augenmerk. Wer an seinem Häuschen baut, kann das nötige Werkzeug beim Gerätehaus des Siedlervereins ausleihen – kostenlos.
Das bisher letzte große Projekt, dass der Verein gestemmt hat, waren die Feiern zum zum 75. Vereinsjubiläum. Seitdem darf in der Geschichte des Siedlervereins die ausführliche Chronik nicht unerwähnt bleiben. Tausende Stunden haben Katja Gußmann, Wolfgang Schroeder, Hartmut Preßler, Günter Kochen, Lothar Weidmann und Georg Schulte auf die Herstellung dieses Werks verwendet. Und es ist ihnen gelungen, das Bild einer Siedlung zu zeichnen, die von der Grundsteinlegung an vom Aufbruchsgeist geprägt ist und in der gleichzeitig konservative Werte wie Nachbarschaftsgeist lebendig sind. (ing)
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