23.08.2004
So lebte es sich im Mittelalter
8000 Menschen feierten bei durchwachsenem Wetter die 20.Auflage des Zehntscheunenfestes
Praunheim. «Statt 100 Jahre das Bett zu hüten, hätte Dornröschen munter ihr Leben genießen können, wenn man sie in den Umgang mit Spinnrädern eingewiesen hätte», vermutet Tanja Kobes. Die Spinnerin, die beim Zehntscheunenfest zwischen Säcken voller Schafshaar Wolle kämmt, Fäden spinnt und haspelt und von der Entwicklung des Spinnrades und dem Baumwollzelt Friedrichs II. erzählt, das Anfang des zwölften Jahrhunderts Aufsehen erregt habe, deutet das Märchen als Spiegel mittelalterlicher Gepflogenheiten. Aus Unwissenheit habe Dornröschen, der es als Prinzessin nicht anstand, Spinnen zu lernen, in die am unteren Ende der Spindel befestigte Nadel gegriffen und das höfische Leben so zum Stillstand gebracht. Gar nicht still ging es trotz zeitweiligen Regens beim 20. Zehntscheunenfest zu. Nach Schätzung des Vorsitzenden des Bürgervereins Praunheim, Wilfried Windecker, lockte das Traditionsfest knapp 8000 Besucher in die Graebestraße. Es stand zur Feier des 1200-jährigen offiziellen Bestehens Praunheims im Zeichen des Mittelalters.
Während auf der Bühne am Pfarrhaus Gaukler, Tänzer, Trommler und Artisten das regenschirmbewehrte Publikum in Atem halten, bieten Korbmacher, Spinner und Seifensieder auf dem mittelalterlichen Markt an der Kirchmauer ihre größtenteils an Ort und Stelle gefertigten Produkte an und erläutern die Arbeitsschritte. Angenehme Wärme verströmt das mittels eines Blasebalgs belebte Kohlenfeuer des Schmiedes. Während Jan Hulverscheidts Knecht Jochen Schröter den glühenden Stahl in Form bringt, klärt der Meister – der im wirklichen Leben als Schmiedegeselle sein Brot verdient – Standbesucher über mittelalterliche Gepflogenheiten bei der Wildschweinjagd auf. Von der Saufeder, einer Speerspitze mit zwei Stacheln, die ein Durchtreiben des Schaftes durch den Wildschweinleib verhindern sollten, bis zur acht Kilogramm schweren Doppelblattaxt, deren Anblick allein selbst hartgesottene Angreifer in die Flucht schlagen dürfte, ist Hulverscheidt für alle Eventualitäten gerüstet. Das Design der Waffen ist bis ins Detail durchdacht: «Eine so schwere Axt wurde zum Problem, wenn man den Gegner verfehlt hatte. Weil man den Kopf der Waffe nicht schnell genug wieder vom Boden hochreißen konnte, ist am Schaftende ein Stachelkranz angebracht. So blieb man handlungsfähig.» Zu sehen gibt es außer Waffen und Kerzenständern auch Halseisen, Handfesseln und Daumenschrauben, die als Dekoration für den heimischen Weinkeller begehrt seien.
Schweres Geschütz haben die beiden Streithähne, die am Freitagnachmittag ein unfreiwilliges Bad im Altarm der Nidda nehmen, gottlob nicht dabei. Als die Sanitäter ans Ufer eilen, waten sie – nunmehr kühleren Kopfes – an Land.
Während viele ältere Praunheimer am Samstag in der Zehntscheune Zuflucht vor dem Regen suchen und bei Kaffee und Kuchen Erinnerungen austauschen an die Zeit, als manche selbst noch der Großmutter am Spinnrad zur Hand gingen, staunen wetterresistente Besucher über die Kunststücke Jochen Symaneks alias Bagatelli, der fränkische Heukarren und Wagenräder auf seinem Kinn balanciert und mit Fackeln, Eiern und Kegelkugeln jongliert. Neben den in 15 Kilogramm schwere, mit Silberschmuck und Troddeln behängte Kostüme gekleideten Tänzerinnen der Tribal-Style-Dance Gruppe Aragira, die orientalische Stammestänze aufführen, bannt auch das Duo Rafftan das Publikum. Das verheiratete Fakir- und Entfesslungskünstlerpaar, das seine Arbeit als Meditation bezeichnet, zertrümmert mit bloßen Füßen Glas, verschluckt Rasierklingen oder schwingt an einem durch die Nase geschobenen Fleischerhaken befestigte Gewichte durch die Luft. «Alles eine Frage der geistigen Einstellung», verrät Dagmar Thran. Das Publikum trägt es mit Fassung, obgleich manchem schon beim Zusehen schwindelt. (jul)
FNP/23.08.04
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