08.02.2011
Damit die Nidda fließen kann
Jeden Winter werden am Niddaufer Bäume und Sträucher gestutzt – zum Ärger vieler Bürger, die für einen natürlichen Wuchs plädieren. Gestern zeigte die Stadtentwässerung am konkreten Beispiel, warum das nicht geht.Sie wollen reinen Tisch machen, ein für alle Mal. Den Bürgern erklären, warum Jahr für Jahr Arbeiter mit Sägen anrücken und das schöne Grün am Niddaufer durch den Häcksler jagen.
Für diese Mission fand sich gestern das Who’s who der Stadtentwässerung Frankfurt (SEF) an der Praunheimer Brücke ein: Ernst Appel und Werner Kristeller, Betriebsleiter der Stadtentwässerung, Abwasserabteilungsleiter Roland Kammerer und seine Kollegin Nicole Bausch von der Gewässerunterhaltung. Es ist kalt, friedlich plätschert die Nidda im Hintergrund, man tritt von einem Fuß auf den anderen, um sich warm zu halten.
Schutz vor Hochwasser
Die Arbeiter in den orangefarbenen Schutzanzügen beginnen ihre Arbeit. Kreischend erwacht die Motorsäge, die ersten Äste der Bäume, die am Ufer stehen, fallen dem Häcksler zum Opfer. «Wir haben viele Anfragen von besorgten Anwohnern bekommen, die uns fragen, warum wir die Böschung nicht einfach so belassen», erzählt Kristeller. «Aber die Gewässerunterhaltung ist eine Gratwanderung: Wir müssen die Natur vor dem Menschen schützen, gleichzeitig aber auch die Anwohner vor Hochwasser.»
Im Winter 2009 hat die Stadtentwässerung begonnen, Büsche und Bäume auf der Uferstrecke von Nied nach Hausen behutsam zu stutzen. Seit September 2010 arbeiten sie am Abschnitt zwischen Hausen und der Praunheimer Brücke, den gestern auch die Abteilungsleiter besuchten. Die Mitarbeiter kümmern sich um insgesamt 18 Kilometer Böschung, zwei Drittel davon haben sie bisher geschafft. Die Zeit drängt: Nur noch bis Ende Februar dürfen sie die Säge auspacken, danach ist bis zum kommenden September Feierabend: Die brütenden Vögel sollen nicht gestört werden; Verordnung vom Naturschutzgesetz. Um den Pflanzenbestand zu schonen, fangen die Arbeiter nur alle fünf bis sechs Jahre wieder von vorn an.
Im Jahr 1930, als die Nidda kanalisiert wurde und die Hochwassergefahr zunahm, war man mit dem Gestrüpp am Wasser nicht zimperlich. «Damals wurde alles radikal abgeholzt», berichtet Nicole Bausch und zeigt Fotos, die ein komplett baum- und strauchloses Ufer in Höchst zeigen. «Im Fall von Hochwasser sollte die gesamte Böschung für den Abfluss zur Verfügung stehen.»
Seit Ende der 80er Jahre verfolgt die SEF ein Konzept, das sie «naturnahe Entwicklung» nennt. Das Ziel: Den Pflanzenbewuchs am Niddaufer so natürlich wie möglich zu halten, aber dennoch so weit zurückzudrängen, dass das Wasser problemlos seinen Weg findet.
Abwasserabteilungsleiter Kammerer wirft einen Blick zu den Arbeitern, die sich, an Seilen gesichert, zu den Bäumen herablassen, die direkt am Wasser stehen. «Wir wollen verhindern, dass Bäume oder dicke Äste ins Wasser stürzen und sich im Wehr oder unter einer Brücke verfangen», sagt er. «Außerdem werden kleinere Sträucher entfernt, damit die Grasnarbe dichter wird. Sie stabilisiert die Böschung, sollte das Wasser über die Ufer treten.»
Dieses Konzept scheint zu fruchten. Beim vergangenen Hochwasser im Januar hat die Nidda zwar an Tempo zugelegt und war gestiegen, überschwemmte aber dennoch nicht den Gehweg oberhalb des Ufers. Die «naturnahe Entwicklung», die die SEF seit 20 Jahren verfolgt, könnte sogar ein «100-jährliches Hochwasser» überstehen, sagt Kammerer. Bei diesem Szenario fließen pro Sekunde 113 Kubikmeter Wasser durchs Flussbett – das entspricht zehn Tanklasterladungen und ist doppelt so viel wie normal. Außerdem steigt der Wasserpegel von überschaubaren 1,50 Meter auf gute dreieinhalb. «Aber nach meinen Recherchen gab es in den vergangenen 40 Jahren kein so schlimmes Hochwasser», beruhigt Kammerer. «Selbst im Januar kamen wir nur zu 90 Prozent an das Szenario heran.»
Die Fäll- und Mäharbeiten haben ihren Preis. Die Stadtentwässerung hat einen jährlichen Etat von zwei Millionen Euro. Die eine Hälfte bezahlt die Personalkosten, die andere wird für die «Unterhaltungsarbeiten» der Uferböschungen eingesetzt, wie es beim Amt heißt. Hinzu kommen 200 000 Euro, mit denen 1400 Meter Fußweg am Fluss entlang saniert werden. Und der nächste Abschnitt, der kommenden September in Angriff genommen wird, ist schon in Sicht: Dann ist das Stück zwischen Praunheimer Brücke und Eschersheimer Wehr an der Reihe.
Von Julia Rösch
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